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Massenkultur des Todes

Der militärisch-unterhaltungsindustrielle Komplex gehört einer zerstörerischen Zivilisation ohne Hoffnungshorizont an.

Von Peter Bürger


Welch wohliges Gefühl verschafft einem doch die Illusion, die Mächtigen folgten trotz mannigfaltiger Rückschläge dem Zivilisationskonsens der Charta der Vereinten Nationen (1945) und ließen sich von der Absicht leiten, „künftige Geschlechter vor der Heißel des Krieges zu bewahren“. Aber dem ist nicht so. Traditionelle Erscheinungsformen des Militarismus sind an der Tagesordnung.

Viel umfassender freilich sabotiert seit Jahrzehnten die populäre Massenkultur das zivilisatorische Projekt einer Ächtung des Krieges. Die Unterhaltungsindustrie unserer Epoche stellt zum Beispiel in Millionenauflagen Produkte bereit, in denen die Konsumenten für das exzessive Zerfetzen von dargestellten Menschen mit Spielpunkten belohnt werden. Die Käufer oder Nutzer solcher Unterhaltungsangebote haben u.a. die Wahl, ob sie ihre hierbei gefragten Leistungen am Bildschirm durch First-Person-Shooter, Third-Person-Shooter oder virtuelle Bombenabwürfe erbringen. In „intelligenten Strategiespielen“ gibt es außerdem die Möglichkeit, die Bevölkerung ganzer Regionen von Mitteln des Lebenserhalts abzuschneiden und der eigenen Seite alle Ressourcen zu sichern. Einer ratlosen Generation, die durch mannigfache Gehirnwaschanlagen des Neoliberalismus geschleust worden ist, dererlei Alltagsbespaßungen seien etwas ganz Neutrales oder gar ein hohes Kulturgut. Die Anpreisungen eines „unterhaltsamen Krieges“ durch Werbestrategen und Rezensenten müssen auf jeden, der noch in Tuchfühlung mit dem geschichtlichen Ringen unserer Spezies steht, wie Satire wirken. Sie sind indessen völlig ernst gemeint und werden in den anvisieren Zielgruppen auch keineswegs als Satire aufgefaßt. Mit Kulturgejammer kommt man hier nicht weiter. Zeit für Klartext: Ein unterhaltungsindustrieller Komplex, der die virtuelle Zerstörung von Leben zur äußerst populären Alltagskultur werden läßt und das Mordhandwerk in tausend Spielarten zelebriert, verweist auf Zivilisationserscheinungen, die sich nur noch in psychiatrischen Kategorien zutreffend beschreiben lassen.

Die Zielvorgabe bei der neoliberalistischen Aufrüstung des Kapitalismus lautet: „Es gibt keine Gesellschaft. Es gibt nur Ego-Shooter und vernetzte Ego-Shooter.“ Maßgeblich aus der Militärforschung herrührende neue Kommunikationstechnologien beschleunigen die virtuelle Geldvermehrungsmaschine im Dienste der großen „Ego-Shooter“ ganz oben und ebenso eine Versorgung der vielen kleinen vernetzten „Ego-Shooter“ unten mit den Botschaften der der mächtigen Marken, der Bilderfabriken und Weltanschauungsproduzenten im Kultsystem. Grenzenlose Medienvielfalt wurde dem Publikum versprochen. Am Ende freilich setzte sich auf allen Kanälen ganz geheimnisvoll doch nur ein einziger Programmdirektor durch. Man schickte sich an, das Individuum auf einen Altar zu stellen, aber nichts war den Drahtziehern des Apparates gleichgültiger als der leibhaftige Mensch und dessen Bedürfnisse. Freiheit – sie sollte ein heiliges, gar höchstes Gut sein. Spätestens seit den Enthüllungen von Edward Snowden kann jeder wissen, daß es hinter den Kulissen – gemäß Militärlogik – allein um Kontrolle, Lenkung und Beherrschung geht. Im neoliberalistischen Neusprech vorgetragen überschlugen sich die optimistischen Parolen, die jedoch sofort mit den Botschaften eines Kinos der Angst konfrontiert wurden. Auf jedes Heilversprechen folgte das präzise Gegenteil. Die sogenannte „Vernetzung“ des gegenwärtigen Kommunikationszeitalters erweist sich als Motor von Vereinzelung und Entfremdung. Die Konsumenten werden mit infantilen Allmachtsphantasien beglückt und werden doch nicht glücklich. Die Massenkultur im Neoliberalismus hat das Kultobjekt Schußwaffe endgültig vergoldet. Sie verbreitet vor allem Traurigkeit und Lähmung. Individualität, Selbstbestimmung und belebende Verbundenheit mit anderen sind im Dasein eines „Ego-Shooters“ nicht vorgesehen.

Die destruktiven Tendenzen der Massenkultur kulminieren im „unterhaltsamen Krieg“. Das „Militainment“ in Kino und Videothek (oft kombiniert mit Buch-, Soundtrack- oder Gameedition etc.), auf Computerspielmärkten und Internetportalen, in etablierten TV-Programmen oder auf eigens installierten Kabelsendern gehört zu einem massenkulturellen Rüstungssektor, dessen Bedeutsamkeit für den Kriegsapparat nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Als Barry Levinson 1992 seinen kritischen Film „Toys“ vorlegte, war dies schon längst keine bloßen Prophezeiungen mehr: „Stell dir vor, es ist Krieg und alle spielen mit!“ (Eine Verquickung von Verhaltensmustern beim PC-Spiel und Soldatenalltag demonstrieren auf erschütternde Weise die Bordvideos von zwei am 12.7. 2007 im Irak eingesetzten US-Kampfhubschraubern, auf denen zu sehen ist, wie Piloten aus großem Abstand und ohne jeden Skrupel mit Maschinengewehren auf Zivilisten schießen.) Sperrige Projektoren und Trägermedien sind für den Militainment-Konsum schon lange nicht mehr vonnöten. Ein Smartphone genügt. Die Produktionssortimente sind für einzelne kaum zu überschauen. Gleiches gilt für Wirtschaftsdaten, die sich auf Herstellung, Werbung, Vermarktung oder Distribution von großen Produktionen beziehen. Filmbudgets von 150 Millionen US-Dollar sind für Blockbuster des Kriegskinos durchaus normal. Ein militärfreundlicher Produzent wie Jerry Bruckheimer hat mit seinen Filmen Milliarden eingespielt.

Wer die von der Unterhaltungsindustrie betriebene Militarisierung der Weltgesellschaft in den Blick bekommen möchte, tut allerdings gut daran, gelehrte Diskurse über die Frage „Was ist ein Kriegsfilm?“ zu meiden. Mitnichten geht es nur um jene Streifen mit explizit militärischer oder kriegerischer Gegenwartsthematik. In ausnahmslos jedem Genre kann dem Krieg das Wort geredet werden. Schließlich ist mit Blick auf Zwitterformate (Infotainment) die klare Grenzziehung zwischen Information und Unterhaltung vielfach nicht mehr möglich.

Der Blick auf die Anbieterseite (Medienmacht) spielt in den Forschungen neoliberalistischer Kulturwissenschaftler keine Rolle mehr. Konzerne liefern angeblich einfach nur das, was der freie Markt verlangt. Zum „Military-Entertainment Complex“ gehört jedoch konstitutiv die organisierte Einflußnahme von staatlichen, militärischen und ökonomischen Kriegsinteressen auf unterhaltungsindustrielle Produktionen. Medienmonopole unterhalten Denkfabriken und Stiftungen, die über gezielte „Dienstleistungen“ (Expertisen, Film-Unterrichtsmaterialien etc.) auf Politik und Bildungsbetrieb einzuwirken versuchen. Sie sind mitunter in einem Konzerngeflecht angesiedelt, in dem auch Waffenproduzenten und andere Kriegsprofiteure den Ton angeben. Neben der Rüstungsindustrie kommt vor allem das Militär als Akteur ins Spiel. Die traditionsreiche Kooperation von Hollywood und Pentagon vollzieht sich in festen Strukturen (u.a. Förderrichtlinien, Filmbüros in allen Waffengattungen). Das Militär erlangt – über Mechanismen der Selbstzensur weit hinausgehend – hierbei eine regelrechte editorische Kontrolle über Produktionen der privaten Filmwirtschaft. Zu den eigenen Medienangeboten des Pentagon gehören etwa Kabelsenderprogramme, Kinotrailer, Internetclips und Computerspiele. Beim Design der letzteren ist die Kooperation von Militär und Professionellen der privatwirtschaftlichen Kreativtechnologie schon seit Jahrzehnten institutionalisiert.

Im Zentrum des militärisch-unterhaltungsindustriellen Komplexes stehen ohne Zweifel die USA, deren massenkultureller Rüstungssektor den globalen Markt bedient und dessen Struktur und Produkte weltweit - bei Freund und Feind – eifrig nachgeahmt werden. Eine internationalistisch motivierte Analyse dieses Komplexes wird sich von Beiträgen rechtspopulistischer „Antiamerikanisten“ und antisemitischer Hollywoodkritiker natürlich kategorisch unterscheiden. Darüber hinaus darf der Blick auf die Verflechtungen von Kriegsinteressenten und Medienmacht nicht zu einer Militainment-Forschung auf der Basis eines zu engen und einfach gestrickten Propagandamodells führen. Das „Brainwashing“ in den Jahrzehnten des Neoliberalismus hat die Breite zu einer „freiwilligen“ kulturellen Kollaboration mit dem Kriegsapparat geführt, die wohl wesentlich bedeutender ist als die Arbeit der nach Plan arbeitenden Propagandawerkstätten.

Der dem Militainment zugrunde liegende „Lehrplan“ vermittelt den Krieg – ausgehend von einem Welt- und Menschenbild der Konkurrenz – als universal, naturgegeben und alternativlos. Die Militarisierung erstreckt sich auf alle dargestellten Zeitebenen (von „Natur“ bzw. Frühgeschichte bis hin zur kriegerischen Sciencefiction für jede erdenkliche Zukunft) und alle Dimensionen (vom nahen Lebensraum bis hin zu „Star Wars“ im interstellaren Raum. Das Kino reproduziert die kriegsbereite Nation, sorgt für Ikonographie der globalen Mission und betreibt über revisionistische Drehbücher „Geschichtspolitik für den guten Krieg“ (am Ende war der Vietnamkrieg doch kein Staatsterrorismus). Es antwortet – vorzugsweise mit einem vermeintlichen Antikriegsfilm-Paradigma – auf Polarisierungen in der eigenen Gesellschaft, gewährleistet die Wahrung von Tabus (ökonomische Interessen, Kriegslügen, Kriegsverbrechen) und inszeniert selektiv jene „humanitäre Katastrophen“, nach denen – wenn man diese Bilder konsumiert hat – kein Zweifel mehr bleibt an der Heilsnotwendigkeit „menschenfreundlicher Militäreinsätze“ auf ganz bestimmten Schauplätzen. Die Massenkultur verbreitet kollektive Psychopolitik durch archaische Kriegsmythen, Kriegstheologie und Weltuntergangsstimmungen, aktiviert das Feindbildschema (Kulturkampf-Agenda) und präsentiert konkrete Bedrohungsszenarien. Weitere Funktionen sind z.B. die Schaffung eines positiven Militärimages und die Rekrutierung.

Schließlich handelt es sich um Propaganda zur Begünstigung bzw. Billigung von Menschenrechts- und Völkerrechtsverbrechen. Gerade auch vom Militär subventionierte Kunstwerke brechen eine Lanze für ein vermeintliches Recht auf Angriffshandlungen an jedem Ort und für den Einsatz geächteter Kriegsmittel, sie sind gleichgültig gegenüber „Kollateralschäden“, machen ganze Kulturräume und Religionen verächtlich, plädieren für die Mißachtung rechtsstaatlicher Verfahren und die Kreation willkürlicher neuer „Rechtsnormen“. 1969 verkündete der Internationale Gerichtshof in DenHaag sein Rechtsgutachten zur grundsätzlichen Völkerrechtswidrigkeit des Atomwaffeneinsatzes. Ab dem Folgejahr kamen dann mehrere militärisch unterstützte US-Produktionen auf TV-Bildschirm und Kinoleinwand, die die modernste Nuklearwaffentechnologie als unerläßlich zur Rettung der Erde anpriesen. Zum 11. September 2001 lag – gutes Timing – ein stattliches Sortiment von Pentagon-geförderten Kriegs- bzw. Terrorfilmproduktionen schon vor. Oft viel zu wenig bedacht wird, daß US-Filmproduktionen mit staatlichen Kooperationspartnern Folter, Geiselerschießungen oder Geheimdienstmorde ganz indifferent als übliche Methoden vorstellen. Die Serie „Rules Of Engagement“ (USA 2000) ist ein besonders menschenverachtendes Beispiel für TV-Produktion und Filme, die mit Schützenhilfe des Pentagon internationale Rechtsnormen aushebeln und sich in großer Gleichgültigkeit gegenüber getöteten Zivilisten eines anderen Kulturkreises üben. Dieses Militärgerichtsdrama zeigt – wie das ebenfalls vom Pentagon unterstützte Somalia-Epos „Black Hawk Down“ (USA 2001) – Menschen eines islamischen Landes vorzugsweise als feindselige Masse und daher „zum Abschuß freigegeben“. Zur durch Massenkultur bewirkten Formung des Rechtsbewußtseins breiter Schichten trug auch die TV-Militärgerichtsserie „JAG“ (deutscher Titel: „JAG – Im Auftrag der Ehre, USA 1995) bei, die in den Augen der Armeeführung ebenfalls förderungswürdig war. Der CIA-Thriller „Zero Dark Thirty“ (USA (2012) endlich führt Folter als erfolgreiche Ermittlungsmethode vor.

Akzeptanz für die „außergerichtlichen Hinrichtungen“ durch ferngelenkte Drohnen hat die Massenkultur schon beworben, als die Mordpraxis selbst noch gar nicht gab. Die vom Pentagon unterstützte Hollywood-Produktion „Stealth“ (2005) bereitet die Zuschauer – unter Vorspiegelung eines ethischen Diskurses – auf eine revolutionär neue Militärtechnologie vor: Das der Aufklärung dienende UAM (Unmanned Air Vehicle) ist längst zum UCAC (Unmanned Combat Air Vehicle) weiterentwickelt worden; die Zeit der bemannten Kampfjets läuft aus. Es entsteht schließlich eine UCAV-Generation, die auf der Grundlage elektronischer Datenverarbeitungssysteme mit integrierten „Lernprozessen“ autonome „Entscheidungen“ trifft bzw. „eigene Handlungsmuster“ entwickelt. Wir können sicher sein, daß uns jede heute noch unbekannte Barbaraei des mondernen Krieges vorab vorgeführt wird – als „Unterhaltung“.

Grundvoraussetzung für eine fundierte Kritik der Kriegsmedien ist eine fundierte Kritik des Kriegsapparates. Die Stellungnahme zum Krieg ist heute – auch auf kulturwissenschaftlichem Gebiet - jedoch schon eine ziemlich beliebige Angelegenheit geworden, bei der man je nach Geschmack eben so oder so urteilen kann. Sogar in der Friedensbewegung wird die Frage aufgeworfen, ob normative Kritik überhaupt noch legitim bzw. zeitgemäß sei. Ein aufwendiges Dossier „Krieg in den Medien“ der Bundeszentrale für politische Bildung vermeidet es, das Publikum mit ernsthafter Ideologiekritik und Informationen über kriegsfreundliche Produktionszusammenhänge zu konfrontieren. Hier und auch in einer – mit öffentlicher Förderung – erstellten „Kriegsfilmdatenbank“ des „Erich-Maria-Remarque- Friedenszentrums“ (www.krieg-film.de) werden grundlegende Felder einer Kritik des militärisch-unterhaltungsindustriellen Komplexes ausgeblendet. Ein echter Mehrwert gegenüber kommerziellen Angeboten ist nicht auszumachen. Darf mehr erwartet werden? Seit zwei Jahrzehnten haben in bundesdeutschen Militärdoktrinen Planungsgesichtspunkte Eingang gefunden., von denen in Grundgesetz und Völkerrecht nichts steht: Wahrung des nationalen Wohlstands (d.h. Aufrechterhaltung des ökonomischen Ungleichgewichtes auf der Erde), Schutz vor „illegaler Immigration“ (d.h. Abwehr der Armen), freie Märkte und freier Warenfluß (d.h. Marktdominanz), freie Handels- und Seewege (d.h. militärische Absicherung der Exportwirtschaft), Sicherung der Energie- und Rohstoffversorgung (bei knappen Ressourcen nolens volens zu Ungunsten der schwächeren Nationen). Eine öffentlich geförderte Einrichtung müßte erst einmal den hier vollzogenen Angriff auf unsere Verfassung und die UN-Charta bloßlegen, bevor sie jene „wertvollen Strategiegames“, mit denen die genannten „Gesichtspunkte“ am PC durchgespielt werden, als zivilisationsfeindliche Beiträge entlarven können.

Weitgehend positivistisch bzw. formalistisch werden die Unterhaltungsangebote des Rüstungssektors auch in der viel beschworenen Medienpädagogik und von zumeist freiberuflichen Rezensenten bewertet. Allerdings bilden sich seit einigen Jahren kritische Ansätze zu einem „New Games Journalism“ heraus, worauf Michael Schulze von Glaßer hinweist. Junge Medienkonsumenten mit weithin „libertären Anschauungen“ erreicht man nur, indem man ihnen vermittelt, daß die über moderne Kommunikationstechnologien militarisierte Massen- und Alltagskultur Teil einer Dynamik ist, die als Ganzes in eine unfreie, autoritäre Gesellschaft hineinführt. Herkömmliche Mediengewaltdiskurse und erst recht selektive Verbotsforderungen von Populisten sind einer fundierten Kritik des militärisch-unterhaltungsindustriellen Komplexes nicht dienlich. Es geht um politische Drehbücher, nicht um Pixelblut. Bezogen auf die Beteiligung von staatlichen Stellen, Militär oder gar Rüstungsindustrie an kriegsfreundlichen Medienproduktionen spricht jedoch nichts gegen eine parlamentarische Initiative zum Verbraucherschutz: Konsumenten haben ein Recht, ohne langwierige Recherchen schon anhand der Verpackung zu erfahren, wer an einem Produkt alles beteiligt ist.

Bräuchten wir also nur noch ein hinreichendes Verständnis für die Schlüsselstellung der Bilderfabriken und mehr Ressourcen in der Friedensbewegung? Die Macht des militärisch-unterhaltungsindustriellen Komplexes kann leider nicht gebrochen werden durch noch mehr Internetseiten mit stärkerer Aufklärung, Medienkritik etc. pp., sondern nur durch neue Kulturräume und eine neue kulturelle Praxis. Es geht an erster Stelle um kulturelle Immunitäten, widerständige Kulturstrategien, alternative Kulturwerkstätten , subversive Kommunikationsformen und –orte. Wie lassen sich die Botschaften der mächtigen Medienmonopole wirksam – womöglich auf unerwartet einfache Weise – unterlaufen? Auf diesem Feld gibt es derzeit bestenfalls Suchbewegungen. Sozialisten, Internationalisten und Pazifisten stehen ein für eine noch zu entbergende Schönheit der Welt. Man sollte annehmen, daß sie gegenüber den Agenten des Todes sämtliche ästhetischen Vorteile auf ihrer Seite haben. In diesem Zusammenhang geht es um die Einsicht, daß der Antikriegsfilm noch lange keine Kultur des Friedens vermittelt. Wim Wenders sieht richtig: Auch der Antikriegsfilmemacher hat sich mit seiner Themenwahl schon dem Kulturdiktat des Krieges gebeugt. Wer in seiner Kritik selbst noch den Bildern der Angst und der Katastrophe verhaftet bleibt, eröffnet keinen neuen Horizont. ES geht durchaus auch um etwas Utopisches, um die anspruchsvollste kulturelle Herausforderung überhaupt. Eine Kultur des Friedens ist nur als erotische Kultur des Lebens vorstellbar und als nur als Vorwegnahme jener zärtlichen Verhältnisse, von denen Sozialisten, Internationalisten und Pazifisten schon etwas geschmeckt haben sollten. Worin besteht das Subversive einer solchen Kultur? Die Antwort: Sie erzählt Geschichten von Begegnung, Gespräch, Zusammenfinden, Berührung und Kooperation , Geschichten von einer Menschenwelt, die unendlich attraktiver ist als die Sensationen einer Kultur der Gewalt und der egomanen Aufrüstung es sind. Sie ermöglicht im Kontext der Ästhetik der Langsamkeit neue Wahrnehmungen, die den Terror der Action-Movies als langweilig entlarven. Eine Wahrnehmung für das Zärtliche, die Musikalität des Lebens und das Wunder miteinander geteilter Bedürftigkeit. Kurzum: Krieg und Kapitalismus sind unsexy!

Peter Bürger ist katholischer Theologe und Publizist. Zum Thema hat er bereits veröffentlicht: Napalm am Morgen (2003), Kino der Angst (2. Erw. Aufl. 2006), Bildermaschine für den Krieg (2007)

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