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Volksverdummung pur

Von Klaus Staeck


Ärzte schreiten Seit´an Seit“ war die Überschrift eines Kommentars der Süddeutschen Zeitung zum Ärztetag in Hannover. Mit wem die organisierten Mediziner da schreiten wollen, ist keine Überraschung: mit Union und FD natürlich. Denn die Oppositionsparteien haben nach Meinung dieser privilegierten Zunft Ungeheuerliches vor; Sie würden, einmal an der Regierung, gesetzliche und private Krankenkassen zur Bürgerversicherung verschmelzen wollen. Dieser Plan sei ein „Turbolader für die Zweiklassen-Medizin“.

Wie bitte? Sind wir nicht längst auf dem Wege zur Zweiklassen-Medizin? Wie sehr nun auch Ärztechef Frank Ulrich Montgomery gegen „Staatsmedizin und Einheitsversicherung“ wettern mag – es liegt an den Millionen der so oder so Versicherten, ob sie der Wahlempfehlung der Ärztelobby folgen oder ihre eigenen Interessen an der Urne wahrnehmen wollen. Dass nicht alle Mediziner in den Kampfruf ihrer Verbandsvertreter einstimmen, versteht sich von selbst und ist Trost für die ängstliche Patientenseele.

Ein anderer Lobbyverein, als GmbH getarnt, bedient sich subkutan wirkender Methoden, um ganz ungeniert Wahlwerbung für Schwarz/Gelb zu betreiben. Es ist eine alte Bekannte, die und fürsorglich belauert, die seit 2000 tätige Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM). Die smarte Spezialagentur für Politik- und Gesellschaftskommunikation „Serviceplan Public Opinion“ („Unser Thema ist die öffentliche Meinung“) hat im Auftrag des neoliberalen Unternehmerclubs, der über einen Millionenetat des Metallarbeitgeberverbandes verfügt, eine hübsche Kampagne für das unmündige Wahlvolk ausgeheckt. Herausgekommen ist die Volksverdummung pur. Natürlich ganz zufällig widmet sich die zentrale Werbebotschaft in acht Anzeigen- und Plakatmotiven dem großen Thema Gerechtigkeit aus neoliberaler Sicht.

Ganz altertümelnd volksnah in Schreibmaschinenschrift, ergänzt durch kleine Bildchen für Doofe, wird da gefragt: „Ist es gerecht, die Steuern zu erhöhen?; dass Sandra bessere Chancen hat als Laura?; dass Inga schlechtere Karrierechancen hat, weil sie Mutter ist?; wenn von 100 Euro Gehaltserhöhung nicht mal die Hälfte auf dem Konto landet?“ Und „ist Mindestlohn gerecht?“ usw. All die besorgten Fragen werden mit einem donnernden Nein beantwortet. Die Frechheit liegt wie so oft im klein gedruckten. Um Sandra und Laura zu Chancengleichheit zu verhelfen, heißt es, „müssen wir mehr für Bildung und frühkindliche Förderung tun“. Einverstanden. Aber wie soll das gehen mit Steuersenkungen, wenn sich noch dazu viele große Konzerne trickreich ihrer Steuerpflicht entziehen? Die Kampagne ist ein einziger Schwindel in Serie. Das einzige Ja erscheint als Antwort in der 8. Folge: „Sind die Arbeitsmarktreformen der Agenda 2010 gerecht?“ Aha.

Mich erinnert diese geistige Umweltverschmutzung fatal an den Wahlkampf 1972, als es darum ging, die amtierende sozialliberale Regierung durch allerlei bösartige Unterstellungen aus dem Amt zu wählen. In ganzseitigen Zeitungsanzeigen wurde wieder einmal vor der Roten Gefahr gewarnt, sollten sich die Bürger endlich „zwischen Freiheit oder Sozialismus“ entscheiden. Als Absender firmierten anonyme Bürgerinitiativen, die alle in Postfächern hausten, eine der perfidesten im idyllischen Amorbach, Postfach 1.

Als eine Art Gegengift entstand damals mein Plakat „Deutsche Arbeiter! Die SPD will euch eure Villen im Tessin wegnehmen“. Nach 42 Jahren ist die Nachfrage nach diesem Motiv wieder gestiegen. Das lässt hoffen.


Klaus Staeck ist Grafiker und Verleger. Er schreibt als Kolumnist auch für die FR. (FR 6.6. 2013)


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