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Was wir lieber nicht wissen wollten

William Pfaff



Das US-Ministerium veröffentlicht derzeit Dokumente, aus denen hervorgeht, wie man in der Bush-Administration über die verfassungsmäßigen Machtbefugnisse eines Präsidenten nach Ausrufung des „Kriegszustandes“ dachte. Wir erfahren da Dinge, die wir ahnten, aber leider nicht so genau wissen wollten.

In den Ende Februar (2009) freigegebenen - ersten sieben dieser amtlichen Memoranden geht es um angebliche Präsidialbefugnisse, völkerrechtliche Verträge einseitig außer Kraft zu setzen, die Verfassungsgarantien der Rede- und Pressefreiheit zu suspendieren sowie Hausdurchsuchungen, Abhörmaßnahmen oder die Beschlagnahme von Dokumenten, alles ohne richterliche Anordnung, und unbefristete Inhaftierung auf dem Boden der Vereinigten Staaten zu veranlassen, ohne Gerichtsverfahren oder Anklageerhebung. Der Kongress habe in diesen Angelegenheiten keine übergeordneten Befugnisse, heißt es in besagten Memos.

Bis auf eines wurden diese Memoranden sämtlich von John Voo und Jay Bybee verfasst (beide seinerzeit im Justizministerium tätig, aber jetzt Mitglied des Lehrkörpers der University of California an der Berkeley Law School der eine, Bundesrichter am Ninth Circuit Court of Appeals der andere). Die beiden haben auch schon früh während der ersten Amtsperiode George W. Bushs zwei Sondermemoranden geschrieben, in denen sehr viel weniger Verhörpraktiken unter die Kategorie „Folter“ fallen als im US-Militärgesetzbuch oder im Zivilrecht der Vereinigten Staaten.

Ihre Neudefinition der Folter erlaubte, was nach dem sogenannten Federal Maiming Statute in den USA üblicherweise sowohl militär- als auch zivilrechtlich verboten ist. Dieser gesetzlichen Regelung zufolge begeht ein Verbrechen, wer Menschen im Gesicht oder asn an deren Körperpartien mit Messer oder Rasierklinge verstümmelt oder ihnen die Zunge herausschneidet, sie blendet oder anderen ebenso grausamen wie grotesken Misshandlungen unterzieht, welche der Verfasser dem Gewissen Professor Yoos, Richter Bybees und jener führenden Mitglieder der Bush-Administration anheimstellt, die Rat suchten, wie sie sich über solche Verbote hinwegsetzen konnten.

Professor Yoo ist der Ansicht, dass dem Präsidenten „im Falle einer bewaffneten Auseinandersetzung“ unbeschränkte Amtsbefugnisse zukommen. Er schrieb das zu einem Zeitpunkt, als die bewaffnete Auseinandersetzung darin bestand, dass Dutzende Staatenlose bewusst einige Flugzeuge in New Yorker und Washingtoner Gebäude hatten krachen lassen. – Die beiden ersten Memos zur Folter zog man, als sie bekannt wurden, zurück. Dass die USA auf Foltermethoden zurückgriffen, wusste oder ahnte die amerikanische Öffentlichkeit schon in einem sehr frühen Stadium des von Präsident Bush deklarierten Antiterrorkrieges. Damals schienen dem nur wenige Amerikaner Beachtung zu schenken. Es gab Einzelne, die protestierten; die Bürgerrechtsorganisation American Civil Liberties Union (ACLU) tat ihre Pflicht, wie auch Amnesty International oder andere Nichtregierungsorganisationen und Bürgergruppen. Doch man beachtete sie kaum. Im Kongress gab es Fragen, aber darüberhinaus geschah nicht viel.

Und das war das eigentlich Erstaunliche: In der amerikanischen Öffentlichkeit schienen nur ganz Wenige besorgt zu sein oder auch nur interessiert – ausgenommen Fox-TV, wo man Gelegenheiten wie diese, Geschäfte zu machen, auf Anhieb wahrnimmt.

Fox startete einer neue Serie, in deren Mittelpunkt Folge für Folge patriotische Folterknechte standen, die im Dienste des amerikanischen Präsidenten alles taten, was eben getan werden musste, um die Republik vor neuen Bedrohungen zu bewahren. Jedesmal unterzog der Held den Verdächtigen einer der Folterpraktiken, deren Anwendung durch Amerikaner für gesetzlich zulässig erklärt wurde, bis der Schurke japsend oder schreiend ausspuckte, wo die Terroristen die Atombombe platziert hatten.

Die Serie gehörte bald zu den Publikumslieblingen. Anscheinend zählte der Präsident selbst zu den Zuschauern. Folterprofis witzelten, Fox-TV habe sie damit auf ein paar gute Ideen gebracht.

Man stelle sich vor, in Deutschland wäre vor 65 Jahren ein volkstümliches Radioprogramm ausgestrahlt worden, in dem SS- und Gestapo-Leute amerikanische Geheimdienstler oder gefangene amerikanische oder britische Piloten foltern, um überlebenswichtige Informationen aus ihnen herauszupressen, koste es, was es wolle. Womöglich hätte Adolf Hitler selbst das Radio eingeschaltet. Schließlich waren alliierte Kommandoeinheiten in Uniform auf seine Weisung hin wie Terroristen und nicht wie Kombattanten zu behandeln.

Abschließend dazu ier nur noch dies: Viele, wenn nicht die meisten der jetzt veröffentlichten Belege dafür, wie Präsident Bush angeraten wurde, sich über die Verfassung der Vereinigten Staaten hinwegzusetzen, handeln von Überwachungsmaßnehmen im Inland und vom (illegalen) Einsatz amerikanischer Streitkräfte gegen die Öffentlichkeit des Landes.

Das hätte wahrscheinlich ganz klein angefangen. Hier und da wären „Unruhestifter“ verschwunden. Man hätte Demonstranten verhaftet und in ein Lager gesteckt. Und eines Tages hätten möglicherweise die US-Bischofskonferenz oder Americans for Democratic Action oder das Cato-Institut oder irgendeine politische pressure group wie das American Israel Public Affairs Committee irgendetwas getan, was dem Weißen Haus ernstlich missfiel.

Wenn dann ein Bataillon Militärpolizisten den Versammlungsort gestürmt hätten und die Teilnehmer „verschwunden“ wären, so wäre das bestimmt in die Zeitungen gekommen – sofern die Zeitungen noch über solche Dinge berichtet hätten. Aber angesichts der Reaktion der Öffentlichkeit auf die Folter-Nachrichten fragt man sich doch, was denn weiter geschehen wäre. Möglicherweise hätte es eine neue Fernsehserie mit hohen Einschaltquoten gegeben: Über die Kräfte, die Amerika unterwandern, und darüber, wie Patrioten mit solchen Leuten umgehen sollten.

4.09


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