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Die Tortillakriege und die Weltordnung

Noam Chomsky


Das von der sogenannten Weltordnung geschaffene Chaos kann schmerzhaft sein, wen man jener Macht ausgeliefert ist, die die Struktur dieser Ordnung bestimmt. Und so kommt es, dass man bei diesem vermeintlich abgehobenen Thema auch auf Tortillas zu sprechen kommen muss. In vielen Regionen Mexikos mussten die Menschen kürzlich feststellen, dass die Preise für Tortillas mit einem Schlag um mehr als fünfzig Prozent gestiegen waren. Im Januar (2007) versammelten sich Zehntausende Arbeiter und Bauern auf dem Zócalo, dem Hauptplatz von Mexiko-Stadt, um gegen die wahnwitzige Preissteigerung zu protestieren.

Die Regierung von Felipe Calderón vereinbarte daraufhin mit mexiokanischen Erzeugern und Händlern eine Preisbegrenzung für Tortillas und Maismehl. Allerdings ist nicht anzunehmen, dass diese Regelung besonders lange beibehalten werden wird. Die Gefahr einer dauerhaften Verteuerung des Grundnahrungsmittels der Arbeiter und Armen in Mexiko ist zum Teil auf etwas zurückzuführen, das wir den Ethanoleffekt nennen können. Es handelt sich um die Folge des US-amerikanischen Ansturms auf den aus Mais gewonnenen Energieträger Ethanol, der als Ersatz für Erdöl dienen soll, denn dessen Hauptquellen befinden sich bekanntlich in Regionen, die der Weltordnung noch heftiger trotzen. Auch in den USA macht sich der Ethanoleffekt bemerkbar, wie man etwa an den Preissteigerungen bei anderen Getreidesorten sowie bei Vieh und Geflügel sieht. Eine breite Palette von Lebensmitteln ist dadurch teurer geworden.

Der Zusammenhang zwischen der Instabilität im Nahen Osten und der Schwierigkeit, auf dem amerikanischen Kontinent eine Familie zu ernähren, ist natürlich kein direkter. Aber wie es im Welthandel so ist: Es kommt immer auf die Machtverteilung an. Eines der vorrangigsten Ziele der US-Außenpolitik besteht seit Langem im Aufbau einer Weltordnung, die US-amerikanischen Konzernen einen uneingeschränkten Zugang zu Märkten, Ressourcen und Investitionsmöglichkeiten bietet. Dieses Ziel wird üblicherweise als „Freihandel“ bezeichnet, doch will der wohlklingende Name so gar nicht zu diesem Konzept passen, wie man bei näherem Hinsehen sofort bemerkt. Wir erinnern uns: Großbritannien, das vor den USA die Weltherrschaft für sich beanspruchte, fing in dem Moment an, Gefallen an der Freihandelsidee zu finden, als es in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts nach 150 Jahren staatlicher Intervention und Gewalt seine Industriemacht so weit ausgebaut hatte, dass es keine Konkurrenz mehr zu fürchten brauchte. De USA gehen praktisch nach demselben Muster vor. Ganz allgemein ist festzustellen, dass Großmächte immer dann bereit sind, sich auf eine begrenzte Form des Freihandels einzulassen, wenn sie davon überzeugt sind, dass dies den Wirtschaftsinteressen, über die sie wachen, förderlich sein wird. Das ist und bleibt eines der hervorstechendsten Merkmale der Weltordnung.

Der Ethanolboom passt in dieses Schema. Wie die Agrarökonomen C. Ford Runge und Benjamin Senauer in der aktuellen Ausgabe von Foreign Affairs darlegen, „wird die Biobrennstoffindustrie seit Langem nicht von Marktkräften, sondern von der Politik und den Interessen einiger weniger Großfirmen dominiert“, besonders von Archer Daniels Midland, dem bedeutendsten Ethanolproduzenten. Dass die Ethanolerzeugung in den USA zum einträglichen Geschäft werden konnte, verdankt sich massiven staatlichen Subventionen sowie sehr hohen Zöllen, mit denen das ungleich billigere und weitaus effizientere, als Zuckerrohr gewonnene brasilianische Ethanol abgeblockt wird.

Als Präsident Bush im März Lateinamerika besuchte, wurde um die Vereinbarung über eine Zusammenarbeit der USA mit Brasilien auf dem Gebiet der Ethanolproduktion vierl Trara gemacht. Doch während Bush in altbekannter Manier die Segnungen pries, die der Freihandel für andere Länder bereithalte, betonte er mit Nachdruck, dass der hohe Zoll zum Schutz der US-Erzeuger auf jeden Fall bestehen bleibe. Und selbstverständlich werden die USA ihre eigene Industrie auch weiterhin auf vielfältige Weise staatlich fördern. Trotz der riesigen, vom Steuerzahler finanzierten Agrarsubventionen ist der Maispreis – wie auch der Tortillapreis – rapide gestiegen. Das liegt unter anderem daran, dass industrielle Nutzer von importiertem US-Mais in zunehmendem Maße auf billigere mexikanische Sorten zurückgreifen, die für Tortillas verwendet werden. Das treibt die Preise in die Höhe.

Die Bedeutung, die dem auf Initiative der USA geschlossenen NAFTA-Abkommen aus dem Jahr 1994 in diesem Zusammenhang zukommt, dürfte in Zukunft nur noch größer werden. Weil NAFTA-Land alles andere als ein „level playing field“ ist, wurde Mexiko mit hoch subventionierten Exportprodukten landwirtschaftlicher Großbetriebe aus dem Norden überschwemmt, woraufhin sich viele mexikanische Bauern zur Aufgabe ihres Landes gezwungen sahen. Der mexikanische Ökonom Carlos Salas hat anhand einer Datenanalyse dargelegt, dass die Zahl der Arbeitsplätze in der mexikanischen Landwirtschaft bis 1993 stetig gestiegen war, dann aber mit Inkrafttreten von NAFTA zu fallen begann, und zwar vor allem im Bereich der Maiserzeugung. Salas und andere Ökonomen sehen darin eine unmittelbare Folge von NAFTA. Ein Sechstel der in der Landwirtschaft beschäftigten Mexikaner war seit Inkrafttreten von NAFTA bereits zur Umsiedlung gezwungen. Dieser Prozess, der noch länger andauern wird, senkt auch in anderen Wirtschaftsbereichen das Lohniveau herab und veranlasst viele Mexikaner, in die USA auszuwandern. Max Correa, Generalsekretär der Gruppe „Central Campesina Cardenista“, schätzt: „Mit jeder fünften Tonne aus dem Ausland bezogener Erzeugnisse wird ein weiterer Campesino zum Auswanderungskandidaten.“ ES ist wohl kein reiner Zufall, dass Präsident Clinton im Jahr 1994, just als NAFTA in Kraft trat, die Grenze zu Mexiko militarisierte, die bis dahin noch recht offen gewesen war. Mexiko, zuvor Selbstversorger, was seinen Lebensmittelbedarf anging, wird seit Einzug des „Freihandel-Regimes“ in die Abhängigkeit von US-amerikanischen Exporten getrieben. Insofern als in den USA mit einem von Konzernmacht und staatlichen Eingriffen beförderten Anstieg des Maispreises zu rechnen ist, dürften sich auch die mexikanischen Grundnahrungsmittelpreise weiterhin stark verteuern.

Wie Runge und Senauer schreiben, wächst die Wahrscheinlichkeit, dass Biobrennstoffe in aller Welt „die Armen in den Hunger treiben“, denn deren Grundnahrungsmittel werden in zunehmendem Maße der Ethanolerzeugung für die Privilegierten zugeführt. Der Maniok in Afrika südlich der Sahara ist eines von vielen beunruhigenden Beispielen. In den südostasiatischen Tropenwäldern kommt es unterdessen wegen der für die Biobrennstoffproduktion interessanten Ölpalmen zu Holzeinschlag und Brandrodung. In den USA verursacht die energieintensive Produktion von aus Mais gewonnenem Ethanol ebenfalls bedrohliche Umweltschäden.

Der hohe Tortillapreis und andere, noch grausamere Wechselfälle der Weltordnung veranschaulichen, wie die globalen Ereignisse vom Mittleren Osten bis zum Mittleren Westen miteinander zusammenhängen. Darüberhinaus unterstreichen sie die dringende Notwendigkeit, den Welthandel fortan so zu gestalten, dass er auf echten demokratischen Vereinbarungen von Menschen basiert statt auf vom Staat geschützten und geförderten Konzerninteressen. Die Konzerne, die den Staat größtenteils dominieren, kennen nur den Hunger nach Profit, und den, so meinen sie, gilt es unbedingt zu stillen, ohne Rücksicht auf menschliche Verluste.


(9.Mai 2007)


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