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Mit Kohlestrom in Richtung Sahara

Beim Klimaschutz ist die Bundesregierung auf dem Irrweg: Die Nutzung von Biogas wird sträflich vernachlässigt


Die Wissenschaft hat es geschafft: Der Klimawandel ist ein Topthema geworden. Nun gut, das warme Wetter ist sicher auch hilfreich, aber jedenfalls ist Deutschland jetzt wieder mal so richtig Vorreiterland in Sachen Umweltbewusstsein. Das waren wir immerhin seit den 80er Jahren nicht mehr, also ist die Welt wieder in Ordnung.

Aber wenn man genauer hinschaut, gibt es Anlass zum Zweifeln: Die meisten Menschen schimpfen öffentlich laut über den Klimawandel und freuen sich unheimlich über das schöne Wetter. Na ja, Eis und Schnee vermisst der Autofahrer nicht wirklich und Sonnenbaden im April, das ist ja auch ganz nett. Also wenn der Klimawandel so aussieht… Und auch viele Intellektuelle sind der Sophistik erlegen: Zwar würde in südlichen Regionen dieses oder jenes Land im Meer versinken, das Wasser knapp werden und das Ackerland versteppen, aber dafür würden ja im Norden neue Regionen urbar- Sibirien sei die Kornkammer der Zukunft. Alles werde sich verschieben, aber letztlich käme doch fast auf dasselbe dabei heraus, zumindest für uns.

Emissionen steigen weiter

Alle diese Meinungen sitzen im selben morschen Boot: sie sind nicht völlig falsch, aber eben höchstens für eine Erderwärmung von bis zu zwei Grad Celsius über das vorindustrielle Niveau hinaus als Halbwahrheiten tauglich. Diese Erwärmung werden wir jedenfalls erleben, denn unsere Emissionen steigen immer noch an, während wir tapfer über Reduktionen reden. Die Forscher sind sich einig, dass wir global bis zum Jahr 2050 50 bis 80 Prozent des CO2 Ausstoßes vermindern müssen, um die zwei Grad gerade noch zu erreichen.

Angesichts der Tatsache, dass Schwellenländer ihre Emissionen kräftig steigern wollen und der Energiebedarf sich global bis zum Jahr 2100 vervierfachen dürfte, wird dieses Ziel wahrscheinlich verfehlt werden. Wenn der politische Klimaschutz fehlschlägt, sagen die Wissenschaftlich einen Erwärmung von bis zu 6,4 Grad Celsius bis zum Jahr 2100 voraus. Das fasst Hans Joachim Schellnhuber, der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung und Berater von Angela Merkel, kurz so zusammen, dass die Sahara vor Berlin enden werde, wenn wir fünf Grad Erwärmung haben. Das klingt ganz anders als die Schönwetter- und Kornkammer-Romantik.

Aber wo die Not aufs höchste steigt, ist die Rettung oft nicht weit: Die EU und allen voran unsere Bundesregierung kämpfen für das Klima. Umweltminister Sigmar Gabriel setzt sich schwergewichtig für eine bessere Energiepolitik ein und verkörpert das grüne Gewissen der Nation. Aber wenn man genauer hinschaut, gibt es schon mal diesen und jenen Zweifel: Gabriel kämpft in der Tat schwergewichtig, aber insbesondere für die Kohlelobby, ganz im Sinne klassischer SPD-Politik. Neben aller Umweltrhetorik werden gerade die Weichen zur dauerhaften Zerstörung des Klimas gestellt, und zwar von dieser Bundesregierung. Die Kernkraftwerke der Nachkriegszeit werden ausrangiert und die Kenenergie muss ersetzt werden. Das heißt, enorme Investitionen stehen an. Der Klimaschutz entscheidet sich daran, in welche neuen Kraftwerke diese Summen fließen – in den nächsten Jahren wird der Energiemix der absehbaren Zukunft zementiert. Werden jetzt zu viele neue Kohlekraftwerke gebaut, dann ist die Chance auf eine Energiewende vertan!

Vor diesem Horizont werden gerade bis zu vierzig neue Kohlekraftwerke geplant, die jeweils eine Laufzeit von bis zu vierzig Jahren haben. Diese Kraftwerke emittieren mehr als doppelt so viel CO2 als moderne Gaskraftwerke. Gleichwohl werden Kohlekraftwerke beim Emissionshandel beschenkt und von Gabriel in seiner am 26. April vor dem Deutschen Bundestag gehaltenen Regierungserklärung zur Klimapolitik
Ausdrücklich verteidigt. Freilich – man wolle keinen Blankoscheck für die Kohle, meint der Minister. Ab irgendwann sollen Kohlekraftwerke mit neuer CO2-Technik CO2-frei produzieren, oder die Betreiber müssen beim Emissionshandel den vollen Preis für ihre Zertifikate zahlen oder Umweltprojekte im Ausland fördern.

Aber das sind nur rhetorische Schachzüge. Die „clean-coale“ Technik, mit der man hofft, CO2 bei der Verbrennung abzuscheiden und etwa unterirdisch zu lagern, funktioniert noch längst nicht. Ob sie das je tut, ist fraglich. Wie teuer sie dann sein wird, ebenfalls. Mit ihr ist nach Expertenmeinung frühestens 2020 zu rechnen, zu welchem Preis auch immer. Ob heute gebaute Kraftwerke, wie das gerade in Neurath bei Neuss entstehende größte Braunkohlekraftwerk der Welt, dann später mit dieser Wunschtechnik nachgerüstet werden können, ist ebenfalls unklar. Wenn es keine saubere Kohle gibt und die Kohlekraftwerke beim Emissionshandel voll zahlen müssten, würden sie bankrott gehen. Und zudem dürfte es bald gar keine kaufbaren Kontingente dieses Ausmaßes mehr geben, wenn die maximale Menge an verfügbaren Zertifikaten so begrenzt wird, dass man damit ehrgeizige Klimaziele durchsetzen will. Die dritte Möglichkeit, im Ausland Wälder aufzuforsten, die CO2 binden sollen, bringt auch nichts. Enorme Flächen würden dazu benötigt, und bis diese Wälder so gewachsen sind, dass sie ihre Aufgaben erfüllen, ist die Zeit uns endgültig davongaloppiert.

Kohletechnologie für die Zukunft

Zwei letzte Gründe blieben Gabriel noch, um sich vor die Kohle zu stellen: Es gäbe gar nicht genug Erdgas, um vom Ausbau der Kohle auf mehr Gaskraftwerke umzusteigen und außerdem: Wer wolle schon zum Spielball Russlands werden…
Aber auch das ist zu kurz gedacht. Gerade der Schirmherr der erneuerbaren Energien, sollte um das Potential von Biogas wissen. Dieses in der Landwirtschaft und bei Klärwerken anfallende Gas kann mit einigen Veredelungsschritten zur Stromerzeugung genutzt werden und könnte alleine die geplante CO2 Reduktion von 20 Prozent bis 2020 bewältigen.

Natürlich werden wir Kohle nicht mittelfristig aus dem Energiemix herauswerfen können. Allein schon nicht, um die Erforschung und Produktion sauberer Kohlenutzung nicht zu behindern. China, Indien und andere Länder werden ihre großen Kohlevorkommen mittelfristig abbauen und müssen dann sichere „clean coale“-Technologien zur Verfügung haben – am besten von uns geliefert. Auch wir können unsere Kohle dann nutzen. Wir werfen sie ja nicht weg, sondern sollten ihren ( teueren und landschaftszerstörerischen) Abbau drosseln, bis zu dem Zeitpunkt, an dem ihre Verbrennung unproblematisch wird. Aber wir sollten jetzt verstärkt auf Gas setzen: Die Kohle dominiert unseren Energiemix und Gas deckt gerade neun Prozent der Stromerzeugung ab. Zu wenig für den Klimaschutz! Zu wenig für die Bauern!
Es wird sich also zeigen, für welche Technik Deutschland der Vorreiter wird, und bis dahin stehen die Weichen so, dass dies die Kohleverstromung sein wird.


Bernward Gesang, Professor am Philosophischen Institut der Universität Düsseldorf und Journalist

Die AG Tierschutz und Ökologie Die Linke LV Hamburg erklärt diesen Beitrag zum Arbeitspapier.


Dirk Schrader, Hamburg

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