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Der gefährliche Hund, Rassenlisten, Leinenzwang
Von Michael Weippert


Seit dem 01. April 2006 gilt in Hamburg ein neues Hundegesetz, das von den Fraktionen der Bürgerschaft (CDU, SPD und GAL) einstimmig beschlossen wurde.
Um das erklärte Ziel des Gesetzes „mehr Sicherheit für die Bürgerinnen und Bürger im Umgang mit Hunden“ zu erreichen, werden Maßnahmen durchgesetzt, die sehr weit in die Rechte von Hundehaltern eingreifen und in krassem Widerspruch zum geltenden Bundestierschutzrecht stehen.
Seit Veröffentlichung des ersten Entwurfs Anfang 2004, wird in Fachkreisen wie auch in der politischen Öffentlichkeit zunehmend diskutiert, ob die entsprechenden Regelungen tatsächlich zweckdienlich sind, also wirklich einen zusätzlichen Sicherheitsnutzen stiften. Weitere Fragen, wie zum Beispiel die der Verhältnismäßigkeit müssen gestellt werden, um die hoch emotional geführte Diskussion zu versachlichen und die überaus komplexen Probleme in Zusammenhang mit den beschlossenen Maßnahmen zu verstehen.
Im folgenden möchte ich dazu einen Beitrag leisten und einleitend anmerken, dass mir kaum ein anderes aktuelles Hamburg- Thema einfällt, welches die Notstandssituation „Bürgerschaft ohne Korrektiv“ so eindeutig und vielfältig illustriert, wie dieses.

„Wir haben ein Vollzugsdefizit, kein Gesetzesdefizit !“

Diese Feststellung ist alles andere als eine neue Erkenntnis. In den Politikfeldern Innere Sicherheit, Datenschutz, Rechtspolitik und vielen anderen mehr: Immer wieder muß darauf hingewiesen werden, dass es für eine freiheitliche Bürgergesellschaft existentiell wichtig ist, die Einhaltung bestehender Regelungen zu garantieren, anstatt unter Aufgabe rechtsstaatlicher Prinzipien mehr und mehr und immer komplexere Regularien zu schaffen. Es sind immer nur einige, die behördliches Versagen anklagen, wo andere zusätzliche Gesetze fordern. Und immer nur einige machen sich für Minderheiten stark, wo andere ihrer Angst vor der eigenen Courage unterliegen. Es ist der schwierigere Weg, dem Sachverstand von Fachleuten zu vertrauen, als populären und einfach erscheinenden Schnell- Lösungen. Das Hamburger Hundegesetz ist geradezu ein Lehrbuchbeispiel für „Experimentalgesetzgebung“: Wir machen mal schnell mal ein Gesetz und werden dann schon sehen, was passiert. Problemursachen werden verschärft, statt gelöst, Bürokratie wird aufgebläht, statt abgeschafft, Kosten werden erhöht, statt gesenkt und der Tierschutz wird geschwächt, statt gestärkt.


Der Fall „Volkan“

Erinnern wir uns: Der Fall, der bundesweit die Debatte um Hundegesetze und –verordnungen auslöste, dürfte niemandem entgangen sein. Im Jahr 2000 wurde der 6-jährige Wilhelmsburger Volkan Kaya von dem Kampfhund Zeus des Halters Ibrahim Külünk grausam totgebissen. Funk und Fernsehen, Zeitungen und Zeitschriften berichteten wochen- und monatelang über den Vorfall. Verständlicherweise wurde allerorts lautstark nach wirksamen Maßnahmen gegen solcherlei Grausamkeiten gerufen.
Aus heutiger (und in der Tat auch aus damaliger) Sicht, war der schreckliche Tod von Volkan jedoch durchaus vermeidbar. Es handelte sich um einen verantwortungslosen Halter, der sein Tier gezielt zum Kampfhund dressierte, ihn über lange Zeit auf Wilhelmsburger Kinderspielplätzen scharf machte und dem Bezirksamt Harburg, der Polizei und der Staatsanwaltschaft seit langem bekannt war. Külünk führte ein „Leben nach dem Strafgesetzbuch“ – Körperverletzung, unerlaubter Waffenbesitz, schwerer Diebstahl, mehrfacher Straßenraub, Drogenhandel, Hausfriedensbruch; er ließ kaum ein Vergehen aus. Vor allem aber war das Hund-Halter-Gespann der zuständigen Behörde längst ein Begriff: Bereits am 11. April 1998, als Zeus einen Schäferhund und dessen Halterin verletzte, wurde Zeus dem Amtstierarzt vorgeführt. Das Bezirksamt verordnete ihm Anleinpflicht. Die Durchsetzung dieser Maßnahme jedoch, wurde weder von der Polizei, noch vom Ordnungsamt überprüft. Und so fuhr Külünk fort, seinen Hund zur Waffe umzufunktionieren. Das Gartenbauamt wechselte regelmäßig die zerbissenen Kinderschaukeln aus und Anlieger des Spielplatzes wunderten sich, dass nichts unternommen wurde. Weitere Beißereien folgten. Im April 2000, nachdem Zeus einen Labradormischling verletzt hatte, wurde Külünk erneut aufgefordert, seinen Hund beim Amtstierarzt vorzuführen – ohne Wirkung. Der nächste Vorfall war dann der Tod des 6- jährigen Volkan.


Leitmotiv „Ruhe im Karton“

Woran lag es, dass nichts geschah ? Lag es am Fehlen eines Hundegesetzes ? Oder gab es nicht etwa schon immer eine Gefahrenabwehrverordnung, die ein Einschreiten des Staates gegenüber Gefährdungen - auch durch Hunde – ermöglichte ? Nachdem das OVG Magdeburg die Hundeverordnung Sachsen-Anhalts im Dezember 2002 für ungültig erklärt hatte, erklärte Innenminister Klaus Jeziorski: "Natürlich kann und muss auch weiterhin bei jeder konkreten Gefahr durch Hunde eingegriffen werden." Im Klartext: Auch der Hamburger Vorfall hätte verhindert werden können, wenn die vorhandenen gesetzlichen Möglichkeiten nur genutzt worden wären.

Nach dem Fall „Volkan“ fragte auch die publizierte Öffentlichkeit folgerichtig, warum so etwas geschehen musste. Einhellige Antwort der Bürgerschaftsparteien: „Wir hatten keine Handhabe ! Wir brauchen ein Gesetz !“. Die Boulevardpresse: „Die Politiker müssen handeln !“, „Alle Hunde müssen an die Leine !“ und „Kampfhunde müssen verboten werden“. Politiker und Journalisten übertrumpften sich gegenseitig mit Forderungen nach möglichst rigiden Maßnahmen gegen die „ständige Gefahr, die von der Bestie Hund“ angeblich ausgehe. „Kinder sind wichtiger als Hunde !“ tönte der SPD- Fraktionsvorsitzende Michael Neumann und forderte sogleich den „generellen Leinenzwang für Hamburg“. Die CDU stimmte bereitwillig in den Kanon ein, ihr sog. „tierpolitischer Sprecher“ Michael Fuchs stellte fest: „Wir brauchen vor allem schnell Ruhe im Karton !“ (Anm.: Karton = Presse).

Um etwaige Missverständnisse von vornherein auszuschließen: Die weise Erkenntnis Neumanns, dass Kinder einen höheren Stellenwert haben, als Hunde, wird – zumindest von mir als Hundehalter und Vater einer 9-jährigen Tochter – keinesfalls bestritten. Die Fiktion eines real nicht existierenden Konfliktverhältnisses „Kind vs. Hund“ jedoch, ist nicht nur eine absichtliche Vermeidung von Sachlichkeit (á la „Terrorabwehr ist wichtiger als Datenschutz“), sondern – schlimmer noch - reine Demagogie. Die Intention ist folgende: „Wer gegen das Hundegesetz ist, der ist auch gegen Kinder“ – so die Aussage. Damit verbietet sich wohl jede Frage nach der Wirksamkeit der Maßnahmen, jede Kritik am Hundegesetz. Basta.

Also wurde beschlossen und verkündet: Rasselisten (zur Bestimmung der Gefährlichkeit) und Genereller Leinenzwang (zum Schutz vor Beißvorfällen durch Kontrolle des Halters) sollen helfen. Weitere Bestimmungen folgten. Die Landes- und Bundestierärztekammer, renommierte Verhaltensforscher, Universitäten sowie zahlreiche Fach- und Interessenverbände boten wiederholt und bereitwillig ihre Beratungsleistung für ein tierschutzkonformes (und damit sicheres) Gesetz an – in Niedersachsen mit Erfolg, in Hamburg leider vergeblich. „Schnell Ruhe im Karton“ ist eben besser zu erreichen, wenn wissenschaftliche Erkenntnisse als Störfaktoren unterbleiben. Zur Rechtfertigung des Vorhabens wurde auch der „Hamburger Tierschutzbeirat“ (institutionalisierter Pseudo- Tierschutz an der kurzen Leine des Senats) bemüht. Dieser stimmte dem Leinenzwang zu, forderte aber kompensatorisch die Einrichtung von „Freilaufflächen in ausreichender Anzahl“, damit eine art- und wesensgerechte Haltung von Hunden in Hamburg nicht gänzlich unmöglich werde. Somit fand auch diese Forderung Eingang ins Gesetz, allerdings nur als Kann- Regelung; die Ausweisung und Pflege geeigneter Flächen soll durch die einzelnen Bezirke erfolgen – ohne Rechtsverpflichtung, ohne Spezifikation (was ist geeignet ?) und ohne Finanzierungsmodell. Zusätzlich wird eine scheinbare Befreiungsmöglichkeit vom Leinenzwang angeboten: Wer eine Gehorsamsprüfung ablegt, darf (nur) auf öffentlichen Straßen und Wegen – zunächst befristet für ein Jahr – seinen Hund ableinen. Inzwischen ist auf Bezirksebene auch den Sozialdemokraten (roter, grüner und schwarzer Couleur) klar, dass das Versprechen nicht gehalten werden kann. Freilaufflächen existieren nur in viel zu geringer Anzahl, sie sind oft in einem bemitleidenswerten Zustand und daran wird sich aller Voraussicht nach auch nicht mehr viel ändern.


Antworten der Fachwelt


Wir nehmen mit der eindeutigen Ablehnung von Rasselisten und Leinenzwang keine exotische oder gar radikale Minderheitenposition ein – im Gegenteil: Wir stützen uns auf die einhelligen und unmissverständlichen Aussagen der Fachwelt. Unzählige Verlautbarungen der Bundestierärztekammer, der Hamburger Tierärztekammer, von Verhaltensforschern, Universitäten und Organisationen, sprechen eine einheitliche Sprache:

  1. Eine „Hunderasse“ ist keine Rasse im biologischen Sinne. Es sind unter den Hunderassen keinerlei genetische Unterschiede nachweisbar, es handelt sich ausschließlich um eine Typisierung nach äußeren Merkmalen. Zahlreiche Untersuchungen in unterschiedlichen Ländern belegen, dass keine Hunderasse signifikant häufiger beißauffällig wird, als andere. Stattdessen korreliert die Wahrscheinlichkeit eines Beißunfalls mit der Häufigkeit des Vorkommens / Größe der Population.

  2. Der dauerhafte Entzug von Freilaufmöglichkeiten wirkt sich negativ auf das Aggressionsverhalten von Hunden aus. Der generelle Leinenzwang ist daher für das Ziel „Sicherheit“ kontraindiziert.


Frau Dr. Feddersen-Petersen (Universität Kiel), bundesweit anerkannte Fachtierärztin für Verhaltenskunde und gerichtszugelassene Fachgutachterin, schreibt dazu eindrucksvoll:

Leinen- und Maulkorbzwang für bestimmte Hunderassen ist aus dem Tierschutzgedanken heraus abzulehnen. Der scheinbare Vorteil einer generellen Anleinpflicht besteht in der vordergründigen Vorstellung, ein ständig angeleinter Hund befände sich automatisch unter der Kontrolle seines Menschen. Dabei wird völlig vergessen, daß Hunde als hochentwickelte soziale Lebewesen nur im Rahmen und zugleich auch unter dem Diktat ihrer biologischen Grenzen existieren können. Es ist natürlich nicht möglich, die Probleme, die sich aus dem Zusammenleben von Mensch und Hund ergeben, ausschließlich durch technische Maßnahmen, so in Form einer Sicherheitsleine, zu lösen.

Jeder qualifizierte Ansatz zur Lösung dieses Problems muß gewissenhaft die biologischen Ansprüche von Hunden berücksichtigen, Ansprüche, die von Hunden an ihre Umwelt gestellt werden, damit sich diese normal und damit auch im Sinne des Menschenschutzes ungefährdet entwickeln können. Nur unter Beachtung und Achtung der hundlichen Verhaltensbedürfnisse kann die zu Recht geforderte Sicherheit der Menschen gewährleistet werden. Technische Hilfsmittel wie Hundeleinen können versagen, nur gut menschensozialisierte Hunde mit einer Bindung an ihren Halter können nach entsprechender Erziehung recht sicher vorhersagbar und einschätzbar reagieren. Dazu bedarf es keiner Leine. Daß in bestimmten Situation wie beispielsweise auf einem Kinderspielplatz dennoch eine Leine angelegt werden sollte, ist selbstverständlich.

Hunde verfügen über ein ausgeprägtes Bewegungsbedürfnis. Wenn man einem Hund ausschließlich die Möglichkeit zur Fortbewegung bietet, indem man ihn mit einem Menschen "zusammenbindet", nimmt man ihm jede Gelegenheit, seinen Bewegungsansprüchen nachzukommen. Auch eine Radfahrt mit einem angeleinten Hund bietet keine echte Alternative.

Über die reine Fortbewegung hinaus nehmen Hunde, während sie einen Weg zurücklegen, eine kaum überschaubare Anzahl von Umgebungsreizen wahr, auf die sie in adäquater Weise reagieren müssen. Dabei geht die Wahrnehmung eines Geruchs weit über die bloße Reizaufnahme hinaus. Es existiert für Hunde ein natürliches Bedürfnis zur Informationsaufnahme, und natürlich bezieht sich dieses Bedürfnis nicht nur auf ein und dieselbe Reizqualität. Für Hunde, die ständig einen Beißkorb tragen müssen, entfällt die Möglichkeit, einen Großteil angeborener Verhaltensweisen ausführen zu können, was neben der Tierschutzrelevanz nicht ungefährlich ist, da so Aggressivität aus Frustration entsteht, sich über längere Zeit auch beständige Verhaltensfehlentwicklungen oder gar –störungen entwickeln können.

Hunde brauchen Abwechslung in der Umgebung, in der sie sich bewegen, andernfalls müssen sich Verhaltensstörungen aufgrund mangelnder unspezifischer Umweltreize entwickeln. Ein ständig angeleinter Hund kann sich nur auf Strecken bewegen, die sein menschlicher Begleiter unter rein menschlichen Aspekten auswählt. Durch den Leinenzwang verringert sich automatisch die erfahrbare Reizvielfalt für den Hund, da die Reizauswahl vom Menschen vorgenommen wird und nur ein verschwindend geringer Teil der für den Menschen relevanten Umweltreize eine Bedeutung für den Hund besitzt.

Intensive und häufige Kontakte zu den Artgenossen sind ein weiteres wichtiges Element im Hundeleben. Fehlen diese Kontakte, kommt es zu Verhaltensstörungen durch sozialen Erfahrungsentzug. Diese Tiere bilden ein Gefahrenpotential, da sie Angst haben und allgemein schneller zubeißen als sichere Tiere.

Hunde müssen von frühester Jugend an soziale Fertigkeit lernen. Hunde die ohne diese sozialen Erfahrungen aufwachsen, zeigen oft ein schwerwiegend gestörtes Verhalten nicht allein im Umgang mit Artgenossen, sondern vielfach auch im Umgang mit Menschen. Angeleinte Hunde können soziale Kontakte zu Artgenossen nur bedingt und unter starken Einschränkungen ausführen. Dies gilt verstärkt für Hunde mit Maulkorbzwang, der allen natürlichen Verhaltensprogrammen widerspricht. Die dabei üblichen Rituale sind für einen maulkorbtragenden Hund unmöglich. Gesteigerte Aggressivität kann das Ergebnis der daraus resultierenden Schäden sein. Damit steigt die potentielle Gefährlichkeit dieser restriktiv gehaltenen Hunde im Ergebnis an. Dem Menschenschutz ist damit wahrlich nicht gedient.

Hunde betreiben oft ausgedehnte Rennspiele, bei denen sich die Tiere mit wechselnden Rollen gegenseitig hinterherlaufen. Angeleinte Hunde können ihre Distanz zum Partner kaum regulieren. So ist es ihnen unmöglich, einer sozialen Bedrängnis zu entgehen. Dies führt häufig zu einem Abwehrschnappen, das sich zu einer Beißerei entwickeln kann, die ohne Leine ausgeblieben wäre. Unter angeleinten Hunden mit Maulkorb wird deshalb häufiger zugebissen.

Der Mensch greift ständig – auch ungewollt – in die Begrüßung und die Auseinandersetzung angeleinter Hunde ein, die so ganz anders agieren und reagieren als ohne direkte Verbindung zum menschlichen Sozialkumpanen. In der Regel wird die Aggressivität gesteigert. Wahrscheinlich ergibt sich aus der generellen Anleinpflicht für manchen Menschen ein erhöhtes Risiko.

Der Wärmeregulation wird bei ständigem Tragen eines Maulkorbs nicht genüge getan. Gerade Rassen mit hohem Bewegungsdrang und großer Aktivität leiden nicht selten unter Kreislaufstörungen oder erliegen gar einem Kreislaufkollaps. Dies macht den Schaden und das Leiden für das Tier offenkundig.

Ein genereller Maulkorbzwang verstößt daher ebenso wie ein genereller Leinenzwang gegen die §§ 1 und 2 des Tierschutzgesetzes und kann somit in keiner Weise befürwortet werden.

Der Preis der Ignoranz

Die gesetzlich verordneten Maßnahmen betreffen nicht nur Hundehalter, sondern letztlich alle Bürgerinnen und Bürger Hamburgs als Steuerzahler. Die Rechnung ist lang:

Bürger- und Freiheitsrechte
Das geplante Gesetz greift massiv und ungerechtfertigt in das Eigentumsrecht der Hamburger Hundehalter ein.

Bürokratie
Das geplante Gesetz führt zu einem immensen bürokratischen Verwaltungsapparat. Das Ziel „Bürokratieabbau“ wird eindeutig konterkariert.

Datenschutz
Ein neues und aufwendiges Zentralregister speichert Daten Hamburger Hundehalter zum Abgleich mit Datenbanken anderer Behörden. Regelungen zur Vermeidung von Missbrauch existieren nicht.

Staatsausgaben
Die Kosten für die Durchsetzung der geplanten Bestimmungen sind unverantwortlich hoch. Zusätzlich sind unkalkulierbare Folgekosten zu befürchen. Die Gesamtbelastung des öffentlichen Haushalts beträgt nach Schätzung der Bundestierärztekammer mindestens 2,5 Mio Euro (Einrichtung und Unterhaltung der Freilaufflächen, Aufstockung und Unterhaltung des SOD, Anschaffung und Wartung von Chiplesegeräten, Einrichtung und Pflege eines Zentralregisters, u.s.w.)

Tierschutz
Das Gesetz steht im Widerspruch zum Bundestierschutzgesetz. Dieses genießt seit 2002 Verfassungsrang (Art. 20a GG).

Föderalismus
Die Hansestadt Hamburg geht – entgegen den Regelungen anderer Bundesländer – einen Sonderweg. Hamburger Bürger werden gegenüber Bürgern anderer Bundesländer extrem benachteiligt.

Staatlicher Aktionismus / „Regulierungswut“
Das Gesetz stiften keinen Nutzen, verursacht aber Schaden.
Einzelne Regelungen, die sinnvoll erscheinen (Kotbeseitungungspflicht etc.), sind ohnehin voll gültig. Leine und Maulkorb haben schließlich keine Auswirkung auf die Stoffwechseltätigkeit.

Vollzugsdefizit statt Gesetzesdefizit
Die vorgefallenen Beißunfälle, die als Rechtfertigung für die Regelungen des Gesetzes dienen, wären durch entsprechendes Handeln der zuständigen Behörden zu verhindern gewesen. Die Fiktion eines Gesetzesdefizits täuscht nur über das Versagen der Behörden hinweg.

Rechtsstaatlichkeit
Die gesetzlichen Regelungen sind weder erforderlich, noch geeignet, schon gar nicht verhältnismäßig. Für diverse Züchter wirkt das Gesetz faktisch als Berufsverbot. Halter von Hunden werden vor die Wahl gestellt, ob sie lieber gegen das (Landes-) Hundegesetz, oder gegen das (Bundes-) Tierschutzgesetz verstoßen wollen.

Wissenschaft
Die gesamte Fachwelt lehnt die Bestimmungen des Gesetzes ab. Die Rasselisten sind nicht begründbar, der Leinenzwang ist nicht nur wirkungslos, sondern kontraproduktiv. Denn das Aggressionsverhalten von Hunden wird durch dauerhaften Entzug von Freilaufmöglichkeiten negativ beeinflusst. Lediglich der senatskontrollierte, hochsubventionierte „Hamburger Tierschutzbeirat“ stellt sich gegen alle Fachverbände und „echten“ Tierschutzorganisationen. So kann der Hamburger Senat immer wieder öffentlich behaupten: „Der Tierschutz steht hinter uns“.

Gesellschaft
Bereits jetzt hat die – zumeist sehr unsachlich geführte – Diskussion um Hunde als „mordende Bestien“ zu einer massiven Anti- Hundehalter- Stimmung in Hamburg geführt. Rechtstreue Bürger werden wie Kriminelle behandelt und für das Fehlverhalten Einzelner pauschal verurteilt. Für immer mehr Menschen werden Spaziergänge mit dem Vierbeiner zum Spießrutenlauf. Scharen von SOD- Häschern (Städtischer Ordnungsdienst) stellen Bürgern mit Hund in Raubrittermanier nach, um sie bei Betreten von Grünflächen abzukassieren. Die Stimmung verschlechtert sich zunehmend; offensichtlich beeinflusst der Leinenzwang mittelbar auch das Aggressionsverhalten von Menschen negativ.

Wirtschaft
Die geplanten Maßnahmen werden zahlreiche Menschen dazu veranlassen, auf Hundehaltung zu verzichten. Neben jährlichen Steuereinnahmen in Höhe von rund 3,3 Mio. Euro allein für die Hansestadt Hamburg, halten Hunde eine ganze Industrie am Leben: Hundefutter, Hundespielzeug, Halsbänder und Leinen, Körbchen und Decken sowie zahlreiche mehr oder minder sinnvolle Utensilien gehen tagtäglich über die Ladentische großer und kleiner Einzelhändler - Arbeitsplätze und Steuereinnahmen. 924 Mio. Euro setzen die deutschen Hundehalter im Jahr allein für Hundefutter um, davon gehen 68 Prozent an den Lebensmitteleinzelhandel, Drogeriemärkte und Discounter. Hinzu kommen noch einmal 121 Mio. Euro für Hundezubehör, von denen zu 85 Prozent der Fachhandel mit rund 10.000 Beschäftigten lebt. In den bundesweit 72 Betrieben der Heimtier-Futter-Industrie sind nochmals mehr als 10.000 Menschen beschäftigt.
Allein in der Hansestadt leben 124 Tierärzte und ihre Mitarbeiter auch von den Hunden dieser Stadt.


Sinnvolle Alternativen

Der Aufgabe der Politik sollte es sein, in Zusammenarbeit mit der Fachwelt sinnvolle Lösungen für das Problem „Beißvorfälle“ zu erarbeiten. Folgende Eckpunkte als Vorschlag:

  1. Verpflichtung der zuständigen Behörden zur Begutachtung auffälliger Hundehaltungs- Situationen und Durchsetzung tierschutzkonformer Bedingungen, Verpflichtung von Hundehaltern zu art- und wesensgerechter Hundehaltung.

  2. Ersatzlose Streichung der Rasselisten

  3. Abschaffung des „generellen“ Leinenzwangs. Anleinpflicht nur auf Kinderspielplätzen, Marktplätzen und an weiteren Orten, wo es sachlich begründet ist

  4. Verzicht auf Gehorsamsprüfung, stattdessen Angebot einer „echten“ Sachkundeprüfung mit dem positiven Anreiz „Befreiung von der Hundesteuer bei Bestehen“


Die Geister, die ich rief…

Als besonderes Schelmenstück des Senats muß das aktuelle Dilemma um die 41 sogenannten Kampfhunde bezeichnet werden, die seit geraumer Zeit im Tierheim Süderstraße „einsitzen“ und infolge der Hamburger Rechtslage so gut wie unvermittelbar sind.
Die Gesundheitsbehörde (siehe Abendblatt- Meldung vom 17. Mai 2006) strebt an, die Tiere nach Niedersachsen zu vermitteln. Die vorgetragene Begründung ist ebenso einleuchtend, wie entlarvend: „In Niedersachsen haben die Hunde bessere Vermittlungschancen“.
Das muß man sich wirklich einmal auf der Zunge zergehen lassen: Hunde werden wegen ihrer Rasse als gefährlich eingestuft, doch offenbar nur in Hamburg. Sobald sie die Grenze zu Niedersachsen passieren, mutieren sie anscheinend zu braven Schoßhündchen. So einfach ist das. Es sollte geprüft werden, ob Ortswechsel- bedingte Spontanheilungen auch bei Staatsräten und Bürgerschaftsabgeordneten möglich sind. Bundesländer, die sich beraten lassen und Fehler vermeiden, sollen dafür noch bestraft werden. Das nur als Bigotterie zu bezeichnen, wäre wohl blanker Euphemismus.

Thema Hundegesetz: Chancen und Risiken

Die Anzahl der Hunde in Hamburg wird ca. 60.000 bis 80.000 geschätzt. Die Haltung der Parteien zu diesem Gesetz – besser gesagt: zur Aufgabe verfassungsmäßiger Rechte -, kann somit das Wahlverhalten von über 120.000 Wählern stark beeinflussen. Bemerkenswert ist übrigens, daß die neue Kusch- Partei „Heimat Hamburg“ lautstark Einwände gegen das Gesetz erhebt. Der ehem. Justizsenator muß sich allerdings fragen lassen, wie denn die absolute Einstimmigkeit zustande kam, wenn ausgerechnet der zuständige (und mitbestimmende) Ressortleiter dagegen war.

Es ist nicht zu akzeptieren, wenn Bundesrecht von Verfassungsrang durch die Willkür und Ignoranz eines Bundeslands ausgehebelt wird. Wenn wir uns dagegen nicht zur Wehr setzen, was wird als nächstes passieren ? Da die gesetzlichen Bestimmungen ja – wie gesagt – zwangsläufig zu einer Eskalation der Probleme führen werden, sind weitere Gesetzesverschärfungen schon vorprogrammiert. Wer weiß, welche Phantasien dazu schon jetzt in den Köpfen einzelner selbsternannter Experten herumgeistern.

Ein Risiko besteht allerdings: Einzelne Medien (insbesondere die Boulevardpresse) haben die geplanten Bestimmungen massiv und kampagnenartig gefördert. Jeder, der gegen das Gesetz vorgeht, wird möglicherweise von negativer Berichterstattung bedroht sein. Einzelne Politiker (z.B. CDU-Fuchs, SPD-Neumann) haben bereits öffentlich eingestanden, daß sie „befürchten, ihr Konterfei neben dem Bild des nächsten totgebissenen Kindes“ in den Zeitungen zu erblicken, wenn sie nicht entsprechend handeln. Diese Herrschaften haben ihre Gehorsamsprüfung jedenfalls mit Prädikat bestanden.
Meine bisherige Erfahrung ist allerdings die, dass jegliche Berichterstattung über unsere – zum Teil sehr erfolgreichen – Aktionen konsequent vermieden wird. Doch das kann sich schnell ändern. Wenn uns das aber von weiteren Anstrengungen abhält, dann sind wir erpreßbar und werden weitere „Kröten“ schlucken. Wenn wir jetzt aber nicht als Büßer „auf die Knie gehen“ und gestehen „Die Erde ist eine Scheibe“, dann wird sich über kurz oder lang auch das Bild in der Boulevardpresse ändern. Denn dieser kann man gewiß vieles vorwerfen, aber ganz bestimmt keinen Mangel an Meinungsflexibilität.


Die AG Tierschutz und Ökologie Die Linke LV Hamburg erklärt diesen Text zum Arbeitspapier.

Dirk Schrader, Hamburg

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