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Angst vor Arbeitslosigkeit

Der Economist findet es gut, wenn Menschen Angst vor Arbeitslosigkeit haben, und die Bundesregierung ist auch noch stolz darauf. Wie tief sind die Eliten bei uns und bei unseren europäischen Partnern gesunken, dass sie die Zunahme von Angst für etwas Positives halten? Man muss nicht einmal Ethik und Moral bemühen, man muss gar kein besonders human denkendes Wesen sein, man muss nur rechnen können, um das Lob für eine Politik, die Angst verstärkt, absurd und ignorant zu finden

Es ist ignorant, weil diese Beobachter und Kommentatoren nicht einmal den Versuch machen, zu begreifen, welche Folgen das Anwachsen der Angst hat. Die Menschen werden seelisch und körperlich krank. Darunter leiden sie selbst und ihre Familien, sie fallen aus, sie machen Fehler in der Produktion, sie erleiden Unfälle. Glaubt man wirklich, das sei produktiv?

Angst ist kein Faktor in der Produktivität, es sei denn, man kapriziert sich auf das kleine Segment derer, die die heutigen Sozialleistungen missbrauchen. Bei ihnen könnte man sagen, die Angst vor Arbeitsplatzverlust führe zu korrekterer und weniger missbräuchlicher Nutzung ihrer Rechte. Das ist aber auch alles. Ansonsten gilt, was jeder von sich selber kennt: Wenn wir Sorgen haben, dann schlafen wir schlecht, dann kriegen wir den Kopf nicht frei, dann nerven wir die Leute in unserer Umgebung.

Man braucht also nur den gesunden Menschenverstand zu bemühen, um zu verstehen, welcher Wahnsinn hinter dem Konzept steckt, die Standortbedingungen einer Volkswirtschaft durch Vermehrung der Angst zu verbessern. Aber dieser Wahnsinn hat Methode. So ist das Konzept der neoliberalen Ideologie angelegt.

In den Betrieben kommt es zu einer weiteren Folge der Angst: Mobbing. Wer Angst hat, ist sehr schnell Opfer von Mobbing. Wer Angst hat ist aber auch häufig Täter.


Hakeleien, Intrigen und Anmotzerei hat es in allen Belegschaften von der industriellen Gr0ßanlage bis zum Fünfmannbetrieb schon immer gegeben. „Mit Kollegen ist es wie mit Verwandten: man kann sie sich nicht aussuchen, aber man muss mit ihnen leben“ heißt eine Lebensweisheit aller abhängig Beschäftigten. Doch für immer mehr Beschäftigte wird dieses Zusammenleben mit Kollegen zur Zerreißprobe. Seit den neunziger Jahren rückt das Phänomen des Mobbing immer mehr in den Blick der Öffentlichkeit. Mobbing unterscheidet sich von herkömmlichen Unverträglichkeiten dadurch, dass ein Kollege so lange und so systematisch gepeinigt, diffamiert, schikaniert oder von wichtigen Informationen abgedrängt wird, bis er entnervt kündigt oder ernsthaft erkrankt und vorzeitig erwerbsunfähig wird.

Die Folgen des Mobbing in Zahlen: Zwei Drittel der Gemobbten zeigen ernste Verstörungen wie Demotivierung, Misstrauen, Angst, Nervosität, Verunsicherung. 50 Prozent haben Denkblockaden, Konzentrationsstörungen, Angstzustände, Selbstvertrauensverlust, vollziehen die innere Kündigung. 43,3 Prozent werden krank, 22,5 Prozent kündigen selber, 14,8 Prozent werden gekündigt, 11,4 Prozent werden arbeitslos.

Ein Drittel aller gemobbten werden langfristig krank, 18,6 Prozent müssen zur Kur, und jeder Sechste begibt sich in stationäre Behandlung. Ein Drittel aller Mobbingopfer nimmt psychotherapeutische Hilfe in Anspruch.

Der Industrie- und Arbeitssoziologe Klaus Dörre spricht von der Rückkehr der sozialen Unsicherheit: In die reichen Nationen kehre sie in Form von zeit- und Leiharbeit, befristeter Beschäftigung, Mini- oder Gelegenheitsjobs zurück. Die Entwicklung solcher prekären Arbeitsverhältnisse ist in Deutschland weit fortgeschritten. Das klingt nach Fortschritt und Zwangsläufigkeit. Dem ist nicht so. Dörre weist mit recht darauf hin, dass diese Entwicklung nicht vom Himmel gefallen ist, sondern das Ergebnis der Arbeitsmarktpolitik ist. Mit anderen Worten: das Ergebnis gerade auch der Wirtschaftspolitik und der dahintersteckenden Ideologie.

Albrecht Müller


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